Der Irrtum über Feuerbach
Feuerbach: „Wer von mir nichts weiter sagt und weiß, als ich bin Atheist, der sagt und weiß so viel von mir als wie nichts.“ (Gesammelte Werke 10, S. 189)
Feuerbach gilt allgemein als großer Motivator der Aufklärung, als Atheist, der den Glauben des Menschen an Gott als „Projektion“ menschlicher Wünsche und Bedürfnisse darstellt. Feuerbach wird jedoch falsch aufgefasst.
Feuerbach kann nur unter Berücksichtigung seiner Schriften insgesamt richtig verstanden werden. Nach eigener Aussage gelangt er zwar von Gott über die Vernunft zum Humanismus, jedoch sind christologische Vorstellungen in seinem metaphysischen Geist fest verankert. Nicht zuletzt als Hegelianer widmet er sich dem Rationalismus. Er verabschiedet sich vom Kreationismus, also dem buchstäblichen Bibelverständnis. Er lehnt diesen als Bibelkundiger genauso ab wie seinerzeit der Theologe Darwin, ohne Gott zu verleugnen. Sein Gottesverständnis aber ist geblieben.
Seiner Konzentration auf die christliche Bedeutung der Immanenz Jesu Christi, in dem aus traditionell christlicher Perspektive Gott für uns leidet, setzt er die von ihm kritisch reflektierte menschliche Entfremdung durch die Spiegelung des menschlichen Egos, nicht etwa durch die „Projektion“, auf den Gott im Jenseits entgegen. Die Definition „Projektion“ in Bezug auf Feuerbachs Religionskritik ist ein Kunst-Begriff, den Feuerbach selber nie verwendet hat. Von Feuerbach wird das Weltsein Christi vor Augen geführt und der „dreieinige Gott“ in die Wirklichkeit dieser Welt gerückt, dies nicht als von Feuerbach dreieinig geglaubter Gott, vielmehr als Gott an sich und Jesus nicht als geglaubter Sohn Gottes, sondern als personifizierte heilige Botschaft, die sich als Symbol hinter der kreationistischen Buchstäblichkeit verbirgt. Feuerbach versteht die Worte als Zeichen. Erst als solche erhalten sie in ihrer Sinnlichkeit Bedeutung. (Vgl. Udo Kern, Der andere Feuerbach, S. 143 ff.)
Durch seine Kritik am Wesen des Christentums übt er keine Kritik an der Religiosität an sich, vielmehr an der christlichen Bigotterie seiner Zeit, in der die Frommen kreationistisch ihre Vorstellungen auf das, was sie als Gott auffassten, (in die Ferne) spiegelten und in der diese Bigotterie sich die Industriellen und der Klerus zunutze machten, um ihre Interessen im Christentum verankert zu wissen, so beispielsweise durch Hinweis auf die von Gott gesetzte Obrigkeit.
Marx’ Freude über den „Atheismus“ des Ludwig Feuerbach ist verbunden mit der Kritik an der fehlenden Gesellschaftskritik Feuerbachs. Diese hatte Feuerbach jedoch unausgesprochen längst geleistet. Doch Feuerbachs Gottesverständnis ist kein atheistisches, obwohl er zwischen „wahren“ und nicht wahren Atheisten unterscheidet, dies aber nur im Kontext der Ablehnung des christlich bigotten kreationistischen Gottesbildes seiner Zeit: Ein wahrer Atheist lehne nicht nur die Prädikate, also die vom Menschen hypostasierten göttlichen Eigenschaften, sondern auch das Subjekt, Gott selbst, ab. Am Anfang in infinitum wäre diesem Gedankenmuster zufolge kein Gott. Vielmehr wäre der Mensch der Anfang des von ihm gedachten Gottes.
Tatsächlich war Feuerbach aber nicht wahrer A-theist an sich, sondern als Naturalist und Christologe Anti-Theist: Gott ist für ihn nicht theistisch, also von der Sinnlichkeit aus gesehen das Übersinnliche, sondern das Sinnliche an sich und somit konkret, sinnlich bei uns und in uns. (Vgl. dazu Feuerbach, Sämtliche Werke II, S. 273).
Gott, so Feuerbach, ist kein Gott als Prädikat, also kein Gott der Vernunft oder der menschlichen Schöpfung (darf also keine Spiegelung hehrer menschlicher Attribute sein), wie in der Götterwelt der Antike. (Vgl. Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 286 f.). Gott sei ontologisch Substrat des Seins. In diesem Bewusstsein fordert Feuerbach die Aufhebung der Abstraktion und somit der menschlichen Spiegelung, vielmehr fordert Feuerbach den Weg von der Entfremdung hin zur Anthropologie, der Humanisierung. Gott ist somit in uns und der Welt angelegt, ist da und daher immanent. Diese Immanenz steht der menschlichen Entfremdung, resultierend aus der Transmission menschlicher Wünsche in die Ferne, entgegen. In ihr, der Immanenz Gottes, ist die Humanisierung, die Zuwendung der Menschen zueinander in dieser Welt – Welt zugewandt –, angelegt. Dadurch ist die Menschheit für sich selbst verantwortlich, folgt man Feuerbachs Theorie.
Gott kann zwangsläufig nach Feuerbach nicht Nicht sein, da Nichts aufgrund seiner Bestimmung (per definitionem) nicht sein kann. Gott kann nicht Nicht sein, da Gott dann „Nichts“ wäre. „Nichts“ gibt es aber nicht. „Nichts“ könne Feuerbach zufolge nicht gedacht werden, weil „non entis sunt nulla praedicata. Non entis nulla est scientia“ (Feuerbach, Gesammelte Werke 9, 1967 ff., S. 54). Diese Vorstellung geht vermutlich auf die aristotelische Metaphysik zurück. Aristoteles begründete die Vorstellung vom göttlichen „nous“ (Sinn) damit, dass „Nichts“ nicht sein kann, vielmehr sei „Nichts“ „Etwas“, sonst wäre der Begriff bzw. die Vorstellung von „Nichts“ nicht. Da Feuerbach eindeutig so denkt, kann er kein A-theist sein.
Feuerbach hat sich also von der frommen Tradition der Theologie entwickelt hin zu einer Metaphysik der Immanenz Gottes. Der transzendentale Charakter ist Ansatz Feuerbachs Kritik, die Spiegelung positiver Eigenschaften aus dem menschlichen Empirismus auf das gedachte Höchste, auf das der Superlativ menschlicher Erfahrungswerte übertragen wird und damit letztlich die eschatologische Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, die Feuerbach zufolge – in seiner Kritik an der Unsterblichkeit der Seele – wiederum eine Spiegelung egozentrierten menschlichen Wunschdenkens ist. Gerade auch aus seinem Spätwerk, der Theogonie, geht dieser Aspekt hervor, ebenso wie die Hervorhebung seiner Philosophie als neue Religion:
„...Sie (sc. die Philosophie) tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion (Zitat aus/bei: http://ludwig- feuerbach.de/index.html?/theogonie.htm).“
Im Vergleich mit seinen Überlegungen erhebt Feuerbach gegenüber Hegel aus zwei Komponenten bestehende Vorbehalte: Zum einen äußert er sich zu Hegels Unchristlichkeit, wie aus dem ersten Band seiner sämtlichen Werke mit der Kapitel-Überschrift ‘Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit’ (1839), hervorgeht. (Feuerbach, Sämtliche Werke I, 1846-66, S. 42-107.) Feuerbach wirft Hegel dessen Auffassung vor, das Gottesverhältnis des Menschen resultiere aus Gott, nicht weil Feuerbach Gott ablehnt, sondern, weil Hegel durch die ausbleibende Differenzierung von Immanenz und Transzendenz das Verhältnis Mensch-Gott - Gott-Mensch unzureichend definiert. Daher fehle Hegel auch (2. Komponente) das Verständnis für die Sinnlichkeit der Christologie, die sich nicht in Worte fassen lasse und die in dem Bedürfnis des Menschen nach Religion wurzelt, und der - mit Bezug auf die Christologie - Werdung des logos in sarx (Fleisch). Durch Jesus werde Gott konkret.
Sich gegen die Abstrahierung Gottes wendend schreibt Feuerbach: „Gott ... ist kein Ding, das du mit dem Fernrohr am Himmel der Astronomie oder mit dem Suchglas in einem botanischen Garten ... finden kannst, du findest ihn nur im Glauben.“ (Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 480 ff.). Der Mensch jedoch des glaubenden Volkes, in seiner (Feuerbachs) Zeit, entferne sich von der Nähe der so genannten Inkarnation Gottes in Christus und hypostasiere, Feuerbach zufolge, anstelle seine Wunschvorstellungen auf einen fernen Gott. (Vgl. Feuerbach, Das Wesen des Christentums, S. 238). Jesus, so Feuerbach, sei (christologisch) „in der Tat eine Inkarnation Gottes“ (Feuerbach, Das Wesen des Christentums, S. 109). Aus dem außersinnlichen Wesen (Gott), dem logos, werde so ein sinnliches Wesen (Gott), sarx (Fleisch). (Vgl. Feuerbach, Sämtliche Werke I, S. 255, S. 284, S. 287).
Abgeschreckt zwar durch die rationalistische Exegese des Gottlieb Paulus (z. B. Wunder- Theologie; Rationalität der Wunder) und hinsichtlich seiner Auffassung, viele christliche Dogmen seien eindimensionale theologische Verfestigungen, hat Feuerbach nicht gesehen, dass viele Dogmen – wenn auch theoretisch – dem wirklichen Glauben Ausdruck verleihen wollten. Dennoch ist Feuerbachs Religion ein integrierbares Korrektiv christlicher Theologie. Auch wenn Feuerbachs Religion die Christologie nicht ersetzen kann, so muss dennoch seine Verteufelung überwunden und der positive Effekt anregender Reflexion für die christliche Theologie erkannt werden. (Vgl. Udo Kern, Der andere Feuerbach, S. 164 f.). Feuerbach war kein Atheist, sondern versuchte vielmehr in Würdigung der christlichen Religion, diese seiner Auffassung entsprechend zu erklären.
Allerdings kann Feuerbach nicht als DER Maßstab gelten. Ihn auf die Stufe eines Protagonisten der absoluten Wahrheit hinsichtlich des „richtigen“ Gottesverständnisses zu stellen, wäre genauso falsch wie das Ignorieren des Zeitgeistes seinerzeit, dem er kritisch begegnet. Feuerbach wandelte sich überdies vom frommen Kreationisten – seine frühen Jahre – zum Anti-Kreationisten, stellt aber nicht die Immanenz Gottes und den Platz Jesu in dieser Welt infrage. Gerade deshalb kritisiert Feuerbach, der junge Anhänger des Rationalisten Hegel, Hegel, weil er diesem das richtige Verständnis von der „Sinnlichkeit“ abspricht. Dennoch muss für den Glaubenden auch ein transzendenter Gott gedacht werden dürfen – nicht zwangsläufig muss er eine Spiegelung des menschlichen Egos sein, ER kann, aber ER kann auch in seiner Unendlichkeit gleichsam als unvorstellbar aufgefasst werden.
Lektüre-Empfehlung:
UDO KERN, Der andere Feuerbach, Sinnlichkeit, Konkretheit und Praxis als Qualität der "neuen Religion" Ludwig Feuerbachs, Münster 1998.
©️E.S. 30.09.2023
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