1. Über die Pflichten

Cicero: De officiis, 1,157

Atque ut apium examina non fingendorum favorum causa congregantur, sed cum congregabilia natura sint, fingunt favos, sic homines, ac multo etiam magis, natura congregati adhibent agendi cogitandique sollertiam. Itaque, nisi ea virtus, quae constat ex hominibus tuendis, id est ex societate generis humani, attingat cognitionem rerum, solivaga cognitio et ieiuna videatur, itemque magnitudo animi remota communitate coniunctioneque humana feritas sit quaedam et immanitas. Ita fit, ut vincat cognitionis studium consociatio hominum atque communitas.

Zu Deutsch:

Und wie die Bienenschwärme sich nicht wegen des Herstellens von Waben versammeln, sondern, da sie von Natur aus gesellig sind, Waben herstellen, so setzen auch die Menschen, und sogar noch viel mehr, ihre Geschicklichkeit zum Handeln und Denken ein, da sie von Natur aus zusammengekommen sind. Deshalb, wenn nicht diese Tugend, die aus dem Schutz der Menschen besteht, das bedeutet aus der Gemeinschaft des menschlichen Geschlechts, die Erkenntnis der Dinge umfasste, würde die Erkenntnis leer und dürftig erscheinen, und ebenso wäre die Größe des Geistes ohne Gemeinschaft und menschliche Verbindung eine Art Wildheit und Ungeheurlichkeit. So kommt es, dass die Gemeinschaft und Verbundenheit der Menschen das Streben nach Erkenntnis übertrifft.


2. Über die Pflichten: W
issenswertes über Ciceros Buch


2.1. Kleine Reminiszenz

Cicero war sowohl in der Oberstufe als auch im Studium Pflichtlektüre. Noch gut in Erinnerung ist mir der Abschnitt über die Bienen und den Vergleich mit den Menschen beziehungsweise der menschlichen Gemeinschaft. Ich habe diesen so zusammengefasst. >>Die Menschen sind von Natur aus gesellig wie die Bienen (Homines naturā congregabiles ut apes sunt.)<< 

Aber was bedeutet das? 


2.2. Zunächst einige Informationen zu Ciceros Werk (nicht sein einziges) 
De officiis, Über die Pflichten 

Ciceros „De officiis“ (Über die Pflichten) ist ein bedeutendes Werk in der römischen Literatur- und Philosophiegeschichte. Es wurde im Jahr 44 v. Chr. verfasst und ist eine der bekanntesten Schriften des berühmten römischen Staatsmannes und Philosophen Marcus Tullius Cicero. Cicero bedeutet übrigens „Kichererbse“. Darüber hat man gerne mal Scherze gemacht. Nun gut :D 

Das Werk besteht aus drei Büchern, in denen Cicero einen Leitfaden für ein moralisch verantwortungsbewusstes Leben vorstellt.
 
De officiis basiert auf den philosophischen Lehren der griechischen Stoa, insbesondere auf den Schriften von Panaetius von Rhodos, einem stoischen Philosophen des 2. Jahrhunderts v. Chr. Cicero übersetzte und adaptierte die stoische Ethik für den römischen Kontext und schuf so ein Werk, das sowohl für seine Zeitgenossen als auch für die Nachwelt von großer Bedeutung war.
 
Das Werk ist in Form eines Dialogs geschrieben, wobei Cicero selbst als fiktiver Gesprächspartner fungiert. Er stellt sich vor, dass er seinem Sohn Marcus Jr. Ratschläge über die richtigen Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen gibt. Dabei behandelt er im Tugendkontext (Tugend lat. = virtus; altgr. = aretē) Themen wie Gerechtigkeit und Pflichterfüllung das Verhältnis zwischen individuellem und öffentlichem Interesse sowie die Bedeutung der moralischen Integrität.
 
De officiis ist nicht nur ein philosophisches Werk, sondern auch ein politisches Manifest. Cicero, der zu seiner Zeit eine prominente Rolle in der römischen Politik spielte, wollte mit diesem Band ein Idealbild des römischen Bürgers präsentieren, der sowohl ethisch als auch politisch verantwortungsbewusst handelt. Er betonte die Bedeutung von Tugenden, wie Rechtschaffenheit und das Engagement für das Gemeinwohl und versuchte, seine Leser zu einem tugendhaften und moralisch vorbildlichen Leben zu inspirieren.
 
Das Werk hatte einen großen Einfluss auf die nachfolgende philosophische und politische Tradition. Es wurde von zahlreichen antiken und mittelalterlichen Denkern studiert und kommentiert. Ciceros Ideen und Konzepte fanden Eingang in die Werke von Philosophen wie Seneca, Epiktet und Marc Aurel. Auch in der Renaissance und der Aufklärung wurde Cicero als eine wichtige Quelle für politische und ethische Philosophie betrachtet.
 
De officiis ist ein zeitloses Werk, das auch heute noch relevant ist. Es regt dazu an, über moralische Verantwortung und Pflichterfüllung nachzudenken und bietet wertvolle Einsichten in die Frage, wie man ein ethisch verantwortungsbewusstes Leben führen kann. Cicero vermittelt seine Botschaft auf eine klare und verständliche Weise und zeigt, dass ethisches Handeln und politisches Engagement untrennbar miteinander verbunden sind.
 
3. Welche Bedeutung kommt dem Textauszug zu? 

Der Textauszug stellt einen Vergleich zwischen Bienen und Menschen an. Er argumentiert, dass Bienen sich nicht zum Herstellen von Waben versammeln, sondern dass ihre natürliche Neigung zur Versammlung das Herstellen von Waben auch mit sich bringt. Ebenso setzen Menschen ihre Fähigkeiten zum Handeln und Denken ein, wenn sie sich natürlicherweise zusammenschließen.
 
Der Text betont die Bedeutung der menschlichen Gemeinschaft und argumentiert, dass Wissen und Geist ohne diese Gemeinschaft unvollständig sind. Es wird darauf hingewiesen, dass das Streben nach Erkenntnis und Fürsorge für Menschen wesentlich ist. Der Text impliziert, dass menschliche Verrohung und Grausamkeit auftreten können, wenn die Gemeinschaft und Verbindung der Menschen fehlen. Insgesamt betont der Text die Bedeutung der menschlichen Gemeinschaft und die Notwendigkeit, Tugend und Erkenntnis miteinander zu verbinden.
 
4. Der Polis-Gedanke
 
Hier könnte, hypothetisch, auch der Polis-Gedanke greifen. Polis ist Altgriechisch und bedeutet Stadtgemeinschaft. Die Stadtgemeinschaft ist die Grundlage für die Gesellschaft, die Grundlage für die Polis die Familie. In der Polis haben alle das gleiche Recht auf Mitbestimmung.

Die griechische Demokratie und der Gedanke der Stadtgemeinschaft sind eng miteinander verbunden. In der griechischen Antike galt Athen als ein bemerkenswertes Beispiel für direkte Demokratie, bei der die Bürger unmittelbar an politischen Entscheidungen beteiligt waren. Dieser politische Aktivismus und die aktive Teilnahme der Bürger an den Angelegenheiten der Stadt waren ein zentraler Bestandteil der griechischen Demokratie.

Der Gedanke der Stadtgemeinschaft, auch bekannt als Polis, war in der griechischen Antike von großer Bedeutung. Die Polis war nicht nur ein geografisches Gebiet, sondern auch eine Gemeinschaft, in der die Bürger zusammenlebten und politische, wirtschaftliche und soziale Beziehungen pflegten. Die Bürger waren verantwortlich für das Wohl und die Entwicklung ihrer Stadtgemeinschaft.
 
Ciceros Werk über die Pflichten, De officiis, behandelt die moralischen und ethischen Verpflichtungen eines Bürgers gegenüber seiner Gemeinschaft. Cicero betonte die Bedeutung von Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Er argumentierte, dass es die Pflicht eines jeden Bürgers sei, sich aktiv an den Angelegenheiten der Gemeinschaft zu beteiligen und zum Gemeinwohl beizutragen.
 
Insgesamt kann man also sagen, dass die griechische Demokratie, der Gedanke der Stadtgemeinschaft und Ciceros Werk über die Pflichten darauf abzielen, die Bürger zur aktiven Teilnahme an ihrer Gemeinschaft zu ermutigen und sie daran zu erinnern, dass sie eine Verantwortung für das Wohl und die Entwicklung ihrer Gemeinschaft tragen.
 
5. Fazit
 
Der vorliegende Textauszug aus Ciceros De officiis (Über die Pflichten) betont die Bedeutung der menschlichen Gemeinschaft und der aktiven Teilnahme an der Gesellschaft. Cicero adaptierte die stoische Ethik für den römischen Kontext und präsentierte ein Idealbild des römischen Bürgers, der ethisch und politisch verantwortungsbewusst handelt. Der Text betont wohl auch den Polis-Gedanken, bei dem die Stadtgemeinschaft die Grundlage für die Gesellschaft bildet und alle Bürger das Recht auf Mitbestimmung haben. Die griechische Demokratie und der Gedanke der Stadtgemeinschaft zielen darauf ab, die Bürger zur aktiven Teilnahme an ihrer Gemeinschaft zu ermutigen und ihre Verantwortung für das Gemeinwohl zu betonen.
 
©️E.S. 2023

 

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